Geschichte des Norsk Roklub i Berlin e. V.
- GründungGründung
Der Norsk Roklub i Berlin e. V. (NRB) kann auf eine bald hundertjährige Geschichte zurückblicken.
Als Norwegen 1905 seine staatliche Unabhängigkeit erlangte, vollzogen die in Berlin lebenden Norweger diesen Schritt nach: Sie lösten sich aus der Gemeinschaft mit Dänen und Schweden, mit denen sie bis dahin im "Skandinavischen Gymnastikverein" organisiert waren und gründeten 1907 ihren eigenen Sportverein, den "Norsk Roklub i Berlin e. V".
Wer waren die Gründer? Eine beachtliche norwegische Kolonie hatte es in Berlin bereits im 19. Jahrhundert gegeben. Sie bestand zum großen Teil aus Studenten, die aufgrund des noch unzureichenden Hochschulangebots in Norwegen zum Studium in die deutsche Hauptstadt gekommen waren. Viele von ihnen waren an der Technischen Hochschule Charlottenburg, der heutigen TU-Berlin, immatrikuliert. Hinzu kamen norwegische Geschäftsleute, Diplomaten und Künstler.
Der neue gegründete Verein erwarb ein Grundstück im bis dahin unbesiedelten, jedoch als Ausflugsziel bei Städtern beliebten Hessenwinkel und errichtete auf dem sumpfigen Gelände das erste Clubhaus. Es entwickelte sich ein reges Leben mit Ruderfahrten auf den umliegenden Gewässern. Das neue Nationalbewusstsein der Norweger äußerte sich in Bootsnamen wie Fram (Vorwärts) und Gjřa (Roald Amundsens Polarforschungsschiff, mit dem er durch die Nordwest-Passage segelte) und einem jährlichen Flaggenumzug durch das im Umkreis entstehende Villenviertel anlässlich des Nationalfeiertages, dem 17. Mai. Im Jahr 1916 wurde ein vorläufiger Höchststand von 34 Mitgliedern erreicht, bevor der 1. Weltkrieg die Mitgliederzahl deutlich schrumpfen ließ.
In den 20er und 30er Jahren ging es mit dem Club wieder bergauf. In der anwachsenden norwegischen Kolonie in Berlin fand der NRB schnell neue Mitglieder und Förderer. Besonders an den Wochenenden trafen sich im Schnitt 10-15 Ruderfreunde im Club und fanden hier Erholung, sportlichen Ausgleich und Geselligkeit. Längere Wanderfahrten über Pfingsten führten bis nach Dresden und Stettin. An Werktagen dagegen hielten sich höchstens ein paar Studenten im Club auf und nutzen die Ruhe, um Diplomarbeiten zu schreiben oder für Examina zu lernen. Höhepunkte des Jahres waren die traditionellen norwegischen Feste wie 17. Mai und St. Hans, zu denen bis zu 100 Gäste kamen. Gegen Ende der 30er Jahre nahm der Norsk Roklub zum ersten Mal an Ruderregatten teil. 1938 gewann der NRB mit einem geliehenen Achter sogar die akademische Meisterschaft von Berlin.
Der Zweite Weltkrieg setzte dem Clubleben ein vorläufiges Ende. Mit Beginn des Krieges verließen viele Norweger Berlin in Richtung Heimat. Zurück blieben einige wenige Clubmitglieder, beispielsweise Studenten, die kurz vor dem Examen standen, oder Norweger, die beruflich oder familiär an Berlin gebunden waren. In verminderter Intensität betrieben sie den Club weiter. Doch auch der NRB und sein idyllisches Clubgelände im Hessenwinkel kamen mit der Naziherrschaft in Kontakt. Vom Verein wurde verlangt, auch Mitglieder der NSDAP aufzunehmen. Dieser Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten widersetzte sich der Norsk Roklub auch dann noch, als der Führer der norwegischen Faschisten, Vidkun Quisling, dieser Forderung persönlich Nachdruck verlieh. Stattdessen sammelten Mitglieder Essensmarken für im KZ Sachsenhausen internierte Norweger. Um bei politischen Diskussionen trotz der ständigen Gefahr, beobachtet und überwacht zu werden, ihre Meinung frei äußern zu können, ohne aufzufallen, sprachen die Mitglieder stets von "Pettersen" wenn sie Hitler meinten.
Als im November 1943 durch Luftangriffe auch Wohnungen von Norwegern zerstört wurden, bezogen diese das Clubhaus als Notquartier. Doch wegen einer bei Erkner gelegenen Kugellagerfabrik war auch der Hessenwinkel von Angriffen der alliierten Luftwaffe betroffen. Mehrere Bomben explodierten im Garten und Hafen des Ruderclubs. Obwohl der Druck die Fensterscheiben sprengte, wurde das Haus nicht weiter beschädigt. 1945 erhielt der Verein die Anordnung, die Ruderboote unbrauchbar zu machen, damit die vorrückende sowjetische Armee sie nicht zum überqueren der Spree verwenden könnte.
SeitenanfangDie Zeit der DDR
Von April bis Oktober 1945 war das Clubgelände von sowjetischen Soldaten besetzt. Später wurde es einer Jugendgruppe der antifaschistischen Parteien Wilhelmshagen-Hessenwinkel zur Verfügung gestellt. Den Mitgliedern des NRB war es verboten, ihr Grundstück zu betreten. Obwohl die meisten Vereinsmitglieder inzwischen in Norwegen lebten, beschlossen sie 1946 auf einer Versammlung in Oslo, den Verein bis auf weiteres von der norwegischen Hauptstadt aus zu betreiben.
Entsprechend eines 1951 in die Verfassung der DDR aufgenommenen Artikels wurde alles ausländische Eigentum in Ostdeutschland unter staatliche Verwaltung gestellt. Damit konnte der (Ost-) Berliner Magistrat frei über die weitere Verwendung des Clubgeländes bestimmen. Als Mieter "auf unbestimmte Zeit" bezog der Betriebssportverein der Reichsbahn ESV Lokomotive das Grundstück im Hessenwinkel. Er betrieb dort Kanusport und nutzte den Hafen als Liegeplatz für die Motorboote seiner Vereinsmitglieder.
Unterdessen setzte sich das Vereinsleben des Norsk Roklub i Berlin im norwegischen Exil fort. Die jährlichen Mitgliederversammlungen wurden im Hotel Continental in Oslo abgehalten. Zu den wichtigsten Zielen gehörte es, den Anspruch auf das Eigentum in Berlin aufrecht zu erhalten. Offiziell gab es für die Norweger keine Möglichkeit mehr, das Clubgelände im Hessenwinkel aufzusuchen oder mit den augenblicklichen Nutzern in Kontakt zu treten.
In den 70er Jahren führte die DDR Entschädigungsverhandlungen mit ausländischen Eigentümern ostdeutscher Immobilien. Neben norwegischen waren auch Grundbesitzer aus Schweden, Dänemark, Finnland, Österreich und der Tschechoslowakei betroffen. Das Osloer Außenministerium führte stellvertretend für die norwegischen Eigentümer die Verhandlungen mit der DDR. Die Ost-Berliner Regierung einigte sich mit den anderen Ländern auf Entschädigungszahlungen, die nach inoffiziellen Schätzungen ca. 5-15% ihres tatsächlichen Wertes betrugen. Die Norweger jedoch gaben sich mit den angebotenen Summen nicht zufrieden; für die Immobilie im Hessenwinkel wurden gerade 15 000 Mark geboten. Der Norsk Roklub beschloss 1988 daher, die Verhandlungen abzubrechen, den Anspruch auf das Grundstück aber dauerhaft aufrechtzuerhalten. Um diese Position zu untermauern, nahm er nun die Form einer Stiftung norwegischen Rechts an.
SeitenanfangNeuanfang nach 1989
Der Fall der Berliner Mauer Ende des folgenden Jahres bewies die Weitsicht dieser Entscheidung. Schneller als erwartet konnte die Rückübertragung des Grundstückes an den Norsk Roklub eingeleitet werden. Der Vorsitzende der Stiftung, Jřrgen Rafn, brachte diesen nicht einfachen Prozeß 1991 erfolgreich zum Abschluß. Die Wassersportler des ESV Lokomotive fanden für sich ein neues Gelände am Langen See in der Nähe von Grünau.
Nun gab es für den in Berlin wiedererstehenden Norsk Roklub mehrere Herausforderungen zu bewältigen. Alle Ruderboote des Vereins waren 1945 abhanden gekommen, und die in den 30er Jahren aktiven Ruderer lebten seit einem halben Jahrhundert in Norwegen. Dennoch waren sie es, die die norwegische Kolonie in Berlin dazu bewegten, sich für den Wiederaufbau des Vereins zu engagieren. Zunächst wurden umfangreiche Umbauten und Renovierungsarbeiten am Club- und Bootshaus durchgeführt, dann musste schrittweise einen kompletter Bootspark erworben werden. Möglich wurde dies dank der großzügigen finanziellen Unterstützung durch die norwegische Botschaft sowie von Seiten norwegischer Geschäftsleute und Firmen. Ebenso entscheidend war die Bereitschaft der Mitglieder zu ungezählten freiwilligen Arbeitseinsätzen bei den Bauarbeiten und der Herrichtung der Boote. Von verschiedenen Berliner Ruderclubs wurden zu günstigen Konditionen gebrauchte Holzboote erworben, die zum Teil noch aus den 20er Jahren stammen und hohe Ansprüche an eine gründliche und fachgerechte Aufarbeitung stellten.
Die feierliche Wiedereröffnung des Norsk Roklub i Berlin fand 1993 statt. Symbolträchtiger Höhepunkt war eine Tour der aus Norwegen angereisten Mitglieder im Wandervierer Kamerat. Als Lohn für ihre Geduld und Unnachgiebigkeit, mit der sie während der deutschen Teilung an ihrem Jugendtraum festgehalten hatten, konnten sie nun, nach über 50 Jahren, vom Norsk Roklub aus wieder auf den Gewässern um den Hessenwinkel rudern.
Das Vereinsleben wurde von in Berlin lebenden Norwegern wieder aufgenommen. Man wollte an alte Traditionen anknüpfen, nimmt aber heute auch Frauen in den Klub auf. Zunächst mussten alle das Rudern erlernen, was einerseits durch die Unterstützung von Ruderfreunden anderer Clubs gelang, aber auch autodidaktisch mittels Fachliteratur des Norwegischen Ruderverbandes. Bald war der Verein soweit, daß man seinen Mitgliedern eigene Ruderkurse anbieten konnte.
Mit einem großen Fest beging der Norsk Roklub i Berlin 1997 sein 90jähriges Bestehen. Viele Gäste und Mitglieder, die den Klub aus der Zeit vor dem Krieg kannten, waren aus Norwegen angereist und ruderten erneut über die Gewässer. Neben einer Bootstaufe wurde das Programm durch den Vereinsruderchor bereichert, der die Clubhymne vortrug. Die deutsche und norwegische Presse berichtete ausführlich über die bewegte Geschichte des inzwischen wieder wohletablierten Berliner Vereins.
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